Ziege, wie ihn hier alle nur liebevoll nennen, hat beim SSV Jahn seine sportliche Heimat gefunden. Nicht nur weil sein Sohn Maxim am 10. Oktober 2024 in Regensburg das Licht der Welt erblickte, sondern auch weil er im Sport- und Schwimmverein etwas Besonderes entdeckte. Seine Vertragsverlängerung – ligaunabhängig – verdeutlicht das. Als einer von 25 neuen Spieler schloss er sich zu Beginn der Drittliga-Saison im Juli 2023 der Jahnelf an. Beständigkeit kannte der heute 28-Jährige nur aus seiner Jugendzeit beim VfL Wolfsburg, wo er als Nachwuchstalent unter anderem mit Kevin De Bruyne oder Naldo wertvolle Erfahrungen sammeln durfte. Das große Ziel 2. Liga hat er in seinem ersten Jahr mit dem Aufstieg 2024 realisieren können, doch gegenwärtig steht der SSV Jahn nach einer harten Saison mit vielen Rückschlägen im deutschen Unterhaus auf dem 18. Tabellenplatz. Im Jahnzeit Titelinterview spricht er über ebenjene sportliche Situation, gibt Einblicke in seine persönliche Entwicklung in Regensburg und erzählt von den vielen Erfahrungen in seinem Leben.

Robin, wie gehst Du mit der aktuellen sportlichen Situation um?
Es ist jetzt nicht ganz leicht, es sind nur sechs Spiele, wir sind Tabellenletzter. Das ist nicht leicht. Nach der Niederlage in Elversberg herrschte in mir vollkommene Leere, Enttäuschung und Wut. Jetzt wird es natürlich noch schwerer in der Liga zu bleiben, was auch zuvor eine große Herausforderung gewesen wäre. Im Fußball bleibt allerdings immer alles möglich, aber wenn man nicht an sich glaubt, ist man fehl am Platz. Wir geben nicht auf, egal wie unrealistisch es erscheinen mag. Wir wollen den SSV Jahn in den nächsten Spielen würdig vertreten. Ich bekomme in dieser Zeit den wichtigen Rückhalt von meiner Familie und meinen Freunden und auch innerhalb der Mannschaft sind wir gefestigt, es ziehen alle mit und werden bis zum Schluss alles raushauen.
Wie lässt sich die Misere erklären?
Manchmal stehen wir auf dem Platz, haben gefühlt ein gutes Spiel gemacht und fragen uns selber, wieso es am Ende einfach nicht gereicht hat. Das ist wirklich schwer zu erklären. Ein Grund ist sicherlich, dass wir zu viele individuelle Fehler machen. Im Kollektiv sind wir eigentlich gut aufgestellt. In einigen Spielen haben uns die individuellen Fehler das Genick gebrochen. Das müssen wir abstellen. Wir hatten selten Spiele, wo wir komplett als Mannschaft versagt haben. Klar ist: In Ulm, im Hinspiel in Nürnberg und zuletzt in Elversberg haben wir als ganze Mannschaft versagt. Ansonsten waren es oft die individuellen Fehler, die eiskalt bestraft wurden.
Fehlt Euch das nötige Selbstvertrauen, was zu diesen Fehlern führt?
Seit Januar 2024 sind wir nicht mehr richtig im Flow, ausgenommen die Relegation, über die wir uns retten konnten. An sich haben wir wenige Erfolgserlebnisse in den Ligaspielen feiern können. In der 3. Liga und in der Relegation haben wir die wichtigen Spiele gezogen oder haben mindestens gepunktet. Das fehlt uns in dieser Saison. In der 2. Bundesliga ist die Qualität viel höher und kleinere Fehler werden gnadenlos bestraft. Sicherlich spielt das fehlende Selbstvertrauen aufgrund dieser Negativserie auch ein Stück weit eine Rolle.
„Es war mit Rückschlägen zu rechnen, aber wenn du so viele Rückschläge erleidest, ist das für den Kopf schwer zu verarbeiten.“

Wie schaffst Ihr es Euch dennoch Tag für Tag zu motivieren?
Es ist ein Privileg, Fußballprofi zu sein. Dafür stehe ich jeden Tag auf und gebe Gas. Es ist ein Privileg, in so einem Stadion vor so vielen Menschen spielen zu dürfen. Das muss Motivation genug sein. Als Fußballer muss man im Kopf stark sein. Ich habe das Gefühl, das vergessen viele Leute. Man ist auf sich alleine gestellt und muss mit dem Druck zurechtkommen. Die Familie und die Mannschaftskollegen sowie der Zusammenhalt helfen dabei.
Robin Ziegele wuchs im südlichen Stadtteil Mörse der Autostadt Wolfsburg auf. Seine Eltern stammen aus Kasachstan. Über den Vater fand er schnell gefallen am Fußball und durchlief die gesamte Nachwuchsabteilung des Bundesligisten VfL Wolfsburg. „Ziege“ verfolgte einen Traum: Fußballprofi werden. Und zwar beim Herzensverein seines Vaters. Den Durchbruch schaffte er allerdings woanders.
Eintracht Braunschweig schloss er sich 2019 an und erlebte mit den Niedersachsen eine Achterbahn der Gefühle. Auf den direkten Aufstieg in die 2. Bundesliga 2019/20 folgte der Beginn der „härtesten Phase“ seiner Karriere. Abstieg, Vereinslosigkeit und Verletzungen. „Es hat mich geprägt und zu dem gemacht, der ich heute bin“, sagt der 28-Jährige heute. Nach Aufenthalten bei Preußen Münster in der Regionalliga und dem FSV Zwickau ist er nun beim SSV Jahn glücklich geworden.
Konntest Du dir im Laufe deiner Karriere, Eigenschaften aneignen, um damit besser umzugehen?
Ich habe schon viel miterlebt - ob jetzt Aufstiege oder Abstiege, da war schon einiges mit dabei. Das prägt einen natürlich. Man lernt mit solchen Momenten besser umzugehen. Ich hatte das Glück, dass ich diese Erfahrungen machen konnte. Ob positiv oder negativ, dass, was wir erleben, macht uns als Mensch aus und gehört zum Leben dazu. Ich bin von Grund auf ein positiv eingestellter Mensch. Dann bleiben die negativen Erlebnisse auch nicht an einem hängen.
Gibst du diese Einstellung auch an jüngere Spiele weiter, die sowas vielleicht noch nicht so erlebt haben?
Ich versuche schon, meine Erfahrung weiterzugeben. Das kann ihnen in manchen Situationen das Leben leichter machen. Ich will als Vorbild voran gehen, auch wenn ich mich ab und an erwische einen Tick zu positiv zu sein (lacht).
„Ich will mir hier beim SSV Jahn etwas aufbauen, weil ich den Verein in mein Herz geschlossen habe. Ich will hier etwas aufbauen mit den Jungs, die da noch da sind. Es war auch ein Zeichen an sie. Ich will das Vertrauen, was ich bekommen habe, den Verein wieder zurückgeben.“

Was macht für dich einen perfekten Innenverteidiger aus?
In der heutigen Zeit kommt mir natürlich das Spiel mit Ball und die Schnelligkeit in den Kopf. Als Verteidiger muss man trotzdem immer noch ein bisschen härter sein, Gegenspielern auch einmal wehtun können. Kopfballspiel ist auch immer wichtig. Obwohl ich nicht der Größte bin, habe ich einen ganz guten Riecher für Kopfbälle. Für einen Innenverteidiger bin ich auch relativ schnell, nur beim Spiel mit dem Ball muss ich mich noch verbessern.
Gibt es ein Vorbild an dem Du dich orientiert hast?
Früher hatte ich immer den Brasilianer Thiago Silva als Vorbild. Er war mir von der Statur ähnlich. Seine perfekt temperierten Tacklings waren bekannt. Am Verteidigen gefällt mir das Grätschen schon auch am meisten, auch einem harten Kopfballduell gehe ich selten aus dem Weg (lacht).
Wie gehst Du damit um, dass Fehler bei Verteidigern direkte Konsequenzen nach sich ziehen?
Das macht mir nichts aus, so ist es halt. Bei Torhütern ist es noch schlimmer. Das gehört zum Berufsrisiko. Man lernt aus seinen Fehlern. Im Moment, in dem du eine Entscheidung triffst, bist du von dieser überzeugt. Im Nachgang kann man sich die Situation anschauen und künftig bessere Entscheidungen treffen. Diese Erfahrung muss man machen, aber es darf niemals dazu führen, dass man den Kopf hängen lässt oder es nicht versucht.
Ruhiger lässt es Ziege gerne privat angehen. Seine erste Wohnung lag außerhalb der Regensburger Stadtgrenzen in Pollenried. Gemeinsam mit seiner Frau Marlene, die er am 3. Juni 2023 kurz vor seinem Wechsel zum SSV Jahn an den Altar führte, genoss er die Ruhe des Dorfes. Die Zeit ohne Training oder Medientermine verbringt er gerne zuhause, oft auch vor seiner Spielkonsole. Das geht seit dem 10.10.2024 nicht mehr uneingeschränkt. An diesem Tag kam sein erstes Kind zur Welt. Den Namen Maxim gaben Marlene und Robin ihrem Sohn.
Wie hat sich seitdem dein Leben verändert?
Um 180 Grad. Meine Interessen stelle ich ganz hinten an. Mein Leben dreht sich um den Kleinen. Das macht mir großen Spaß und ich mache das gerne für ihn. Ich war schon immer ein Familienmensch. Mir ist wichtig, dass alle gesund sind und es ihnen gut geht. Insgesamt muss man als Vater auf viele mehr Dinge achten und vieles berücksichtigen. Darunter kann die Schlafenszeit schonmal leiden. Er hat immer gut gegessen, gut geschlafen und wenig geschrien. Ich habe dennoch größten Respekt vor meiner Frau, wie sie die Geburt gemeistert hat und wie sie als Mutter mit dem Kleinen tagtäglich umgeht. Ich bin überglücklich, meine kleine Familie zu haben.
Wie sieht die Aufgabenverteilung zu Hause aus?
Im Windeln wechseln bin ich ganz gut (lacht). Spaß bei Seite. Weil ich mit Training und Spielen oft unterwegs bin, übernimmt meine Frau natürlich vieles, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Sobald ich zuhause bin, helfe ich ihr in allen Bereichen. Was ich besonders gut kann, ist ihn zu bespaßen. Da kann ich ganz der Spaßvogel sein.

Verspürst du so einen anderen Umgang mit Verantwortung?
Vom Gefühl her merke ich schon, dass ich mehr Verantwortung habe, aber es verändert mich in meiner Lebensweise und Herangehensweise an Dinge nicht wirklich. Ich nehme es gelassen und versuche, das zu tun, was mich auch davor ausgezeichnet hat.
Inwiefern ist denn deine Vertragsverlängerung ein kleines Zeichen von Verantwortung?
Ich spüre definitiv eine Verantwortung gegenüber meiner Familie. Wenn ich die Chance bekomme, hier zu bleiben, wo es auch ihnen gut gefällt, mache ich das natürlich. Ich möchte einen sicheren Plan für meine Zukunft und ankommen. Wir können uns jetzt um eine Kita kümmern und uns ein Leben aufbauen. Ich habe es erlebt vereinslos zu sein und das war für mich die schwierigste Zeit meines Lebens – ein schlimmes Gefühl.
Wie bist Du damit umgegangen?
Man sitzt oft zu Hause und kann nichts dagegen machen. Ich habe davor mit meiner Frau zusammen in Braunschweig gelebt und wusste nicht wo es hingeht. Als ich vereinslos war, musste ich übergangsweise wieder bei meinen Eltern einziehen. Das ist ein komisches Gefühl. Abzuwarten und sich irgendwo fit zu halten, ist echt schwierig. Umso glücklicher bin ich jetzt, beim SSV Jahn bleiben zu können.
Kann es von Vorteil sein solche Negativ-Erlebnisse gemacht zu haben?
Das gehört definitiv auch dazu. Ich muss sagen, dass ich allgemein eine gute Kindheit und ein gutes Leben hatte. Darüber kann man sich nicht beklagen. Meine Eltern sind in Kasachstan geboren und hatten es nicht leicht, als sie nach Deutschland kamen. Die beiden haben aber immer das Beste aus ihrer Situation gemacht und waren immer glücklich dabei. Diese positive Einstellung vorgelebt zu bekommen, hat mich geprägt. Mein Vater war ein sehr fleißiger Mensch, er ist frühmorgens los und kam erst abends gegen zehn, elf Uhr zurück. Er hat in mehreren Jobs gleichzeitig gearbeitet. Dieses Verantwortungsbewusstsein für seine Familie prägte mich. Dass im Leben nicht alles leicht ist, lernt man so auch schnell. Ich habe viel von meinen Eltern lernen können. In Kasachstan haben sie sich nicht schnell einen Handwerker rufen können, sondern mussten sehr viel selbst machen. So will ich es auch meinem Sohn beibringen. Er soll viel vom Leben mitnehmen, es ist wichtig zu wissen, dass es anderen Leuten nicht so gut geht wie einem selbst. Wenn man glücklich ist, muss man nicht immer etwas Neues haben oder nur daran denken, was man nicht hat.
Wie er zu seinem besonderen Jubel gekommen ist, er die Zeit im Nachwuchs des VfL Wolfsburg erlebt und welche Lektionen er fürs Leben gelernt hat, lest Ihr im vollständigen Jahnzeit Titelinterview.












